Wallfahrt
Wallfahrt
gestern und heute
„Seit der Übertragung der Gebeine der Heiligen Drei Könige begann Köln an Ruf und Ruhm zuzunehmen, so dass bis heute die Gläubigen, angezogen und angelockt vom Duft der heiligen Könige, nicht aufgehört haben, von den Inseln des Meeres und den verschiedenen Himmelsrichtungen zusammenzuströmen: Schotten, Bretonen, Engländer, Spanier, auch aus Italien, Sizilien, Oberitalien und Frankreich.“
Diese Notiz in einem um 1200 in Köln verfassten Bericht über die Hll. Drei Könige macht die Bedeutung der bald nach der Ankunft der Dreikönigsreliquien in Köln am 23. Juli 1164 einsetzenden Wallfahrt nach Köln deutlich, deren Bedeutung für Kirche und Stadt weit über das geistig-religiöse Moment hinausging. Neben Berichten, wie dem eingangs zitierten, zeigen auch die mittelalterlichen Pilgerzeichen aus Köln, die bei archäologischen Grabungen in Schweden, Norwegen, Polen und Ungarn, in den Flüssen Waal, Schelde und Weser und anderswo gefunden wurden, die internationale Verbreitung dieser Wallfahrt auf.
Die ältesten stammen bereits aus dem 12. Jahrhundert. Erhalten haben sich ferner Pilgerschutzbriefe, gedruckte Pilgerführer und -bücher – darunter auch Exemplare in französischer und slowenischer Sprache – sowie die noch im 19. Jahrhundert als Wallfahrtsandenken gedruckten Dreikönigszettel. Diese zeigten ein Bild der Heiligen, einen Nachweis, dass der Zettel an die Gebeine der Könige angerührt worden sei, sowie ein Bitt- und Schutzgebet.
Die „Sancta Colonia“, das heilige Köln, zählte im Mittelalter neben Jerusalem, Konstantinopel, Rom, Santiago de Compostela, Canterbury und Aachen zu den wichtigsten Wallfahrtsorten der Christenheit. Dabei wurden die Heiligen Drei Könige als die ersten Herrscher überhaupt verstanden, die Christus gesehen und erkannt hatten. Außerhalb von Köln konnte eine vergleichbare religiöse Legitimation königlicher Herrschaft lediglich noch durch die französischen Könige von der in der Pariser Sainte-Chapelle aufbewahrten Dornenkrone Christi abgeleitet werden.
Daher war Köln im besonderen Maße bedeutend für Herrscher aus ganz Europa. Nicht nur die deutschen Könige besuchten Köln und die Heiligen Drei Könige.
Neben den Besuchen gekrönter Häupter sind vor allem die vermögenden Pilger als nicht zu unterschätzender wirtschaftlicher Faktor für Stadt und Kirche zu benennen. Am anderen Ende der gesellschaftlichen Skala standen die armen Pilger, die sich Almosen für Weg und Unterkunft erbetteln mussten und für die innerhalb der Stadt Köln verschiedene Hospitäler bestanden, die eigens zum Zweck der Pilger- und Fremdenbeherbergung errichtet worden waren. Oft genug empfand man die mittellosen Pilger als außerordentliche Belastung, wie Verordnungen des Rates belegen.
Um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert war ein empfindlicher Einbruch und sogar ein vorläufiges Ende der Wallfahrt zum Kölner Dom zu verzeichnen. Dafür waren u. a. die geistigen Strömungen der Aufklärung verantwortlich. Zudem war den Gläubigen durch die Sicherstellung des Schreines vor den 1794 gegen Köln vorrückenden Franzosen ins Rechtsrheinische schlichtweg das Objekt der Verehrung entzogen. Erst 1804 kehrten die Gebeine der Heiligen sowie der Schrein selbst wieder nach Köln zurück.
Im 20. Jahrhundert erlebte Köln 1948 und 1980 zwei beeindruckende Domjubiläen, zu deren Höhepunkten jeweils eine Prozession durch die Straßen der Stadt gehörte, bei dem der Dreikönigenschrein und weitere kostbare Reliquienschreine aus den Kirchen Kölns mitgeführt wurden. Das Domjubiläum von 1948 fand anlässlich der 700. Wiederkehr der Grundsteinlegung des Domes vor der Silhouette des kriegszerstörten Kölns statt, und die Schreinsprozession zog durch das Trümmerfeld der Altstadt.
Dennoch wurden die Festlichkeiten zu eindrucksvollen Zeichen des Lebensmutes und des Wiederaufbauwillens der Kölner Bevölkerung. Die Beteiligung eines päpstlichen Legaten sowie von Kardinälen und Bischöfen aus vielen Nationen und nicht zuletzt aus den „Siegerländern“ sah man als erste Schritte einer Rückkehr der Deutschen in die Gemeinschaft der Völker an.
Das Domjubiläum 1998 zur 750-jährigen Wiederkehr der Grundsteinlegung des Doms sowie der Weltjugendtag 2005 brachten schließlich eine Wiederbelebung der Wallfahrt mit sich, zu der das Erzbistum Köln seitdem alljährlich um den 27. September, dem Kirchweihtag des Domes, einlädt.
Dr. Joachim Oepen
Eine historische Quelle
Eine historische Quelle
Zu diesem Aufblühen der Stadt trug auch ganz besonders das Zusammenströmen zahlloser Pilger bei, welche aus allen Theilen der Erde nunmehr in den Kölner Dom zusammen strömten. Nächst dem heiligen Grabe zu Jerusalem, den Gräbern der Apostelfürsten Petrus und Paulus zu Rom, und den Gebeinen des h. Jakobus zu Compostella, war nunmehr in Köln vorzüglich das Ziel, wohin die gläubigen Gemüther zur Befriedigung ihrer religiösen Bedürfnisse sich hingezogen fühlten. Dadurch hob sich nun mächtig die Stadt Köln: neue Straßen entstanden an bisher nicht bewohnten Plätzen; bald nach der Übertragung des Heiligthums wurde, auch mit Beziehung auf dessen Schutz, Köln mit den weit über die alte Stadt hinaus reichenden jetzigen Ringmauern umgeben, und noch war kein Jahrhundert verflogen, als man sich gedrungen fühlte, über den Gebeinen der hh. drei Könige den Prachtbau unseres Domes zu wölben, welcher nun zu dem siebenhundertjährigen Jubiläum in seinem inneren Ausbau bis zu den Thürmen glücklich vollendet ist. Mit Rücksicht auf diese heiligen Reliquien, gewährte bereits in dem 13. Jahrhunderte Papst Innocens IV. den Pilgern, welche sie am Dreikönigentage besuchten, Antheil an den Gnadenschätzen der Kirche, und bezeugt zugleich, dass die Leiber der hh. drei Könige hier von vielen Wundern glänzten; derselbe Papst ermahnte 1248 alle Gläubigen, zu dem Baue des neuen Domes „zu Gottes und der hh. drei Könige Ehre“ freigebig beizusteuern.
Aber ehe noch der neue Dom mit seinen gewaltigen Gewölben gleich einem riesenhaften Reliquienschrein die heiligen Leiber umschloss, hatte der Nachfolger Reinald’s von Dassel, der Erzbischof Philipp von Heinsberg den Dreikönigenkasten anfertigen lassen. Nach den gleichzeitigen Berichten erfüllte süßer Wohlgeruch die Hallen des Domes, als die heiligen Gebeine in das neue Reliquiar übertragen wurden.
Zu Ehren dieser ihrer neuen Schirmherren und zum Zeichen ihrer Freude über den Besitz dieses Schatzes nahm die Stadt Köln alsbald drei Kronen in ihr Banner auf, und als später die Städte, wie die Geschlechter, besondere Wappen erhielten, wählte sie den zweigetheilten Schild, unten weiß und oben rot mit den drei goldenen Kronen im rothen Felde. In derselben dankbaren Verehrung beschloß die Stadt im Anfange des 16. Jahrhunderts, dass jährlich am Tag vor dem Feste der hh. drei Könige der ganze Senat und 44 Abgeordnete der Gemeinde mit sämmtlichen Doctoren, Proto-Notarien, Sekretären und sonstigen städtischen Beamten in Amtstracht von dem Rathhause in feierlichen Zuge durch Maria im Kapitol zu dem Dome sich begeben, und nachdem sie dort bei den hh. drei Königen geopfert und gebetet, zu der Rathhauskapelle zur Anwohnung eines feierlichen Hochamtes mit Predigt zurückkehren sollten.
Wie die Häupter der Stadt, so hielten auch der Kaiser des heiligen römischen Reiches deutscher Nation und die übrigen Könige der Christenheit es für eine fromme Pflicht, diesen ersten christlichen Fürsten im Dom zu Köln ihre Verehrung zu bezeugen und dadurch auch den Entschluß an den Tag zu legen, dass sie gewillt seien, ihr Scepter in Abhängigkeit von dem König aller Könige zu führen.
Wir haben schon oben erwähnt, dass die übrigen Gläubigen hinter den Fürsten nicht zurückblieben; wie nach dem Berichte eines Zeitgenossen die Bevölkerung der ganzen Provinz bei der ersten Ankunft gleichsam zu einer großen Prozession geordnet die heiligen Leiber begrüßt hatte: So drang die fromme Sehnsucht nach den hh. drei Königen allmälig in immer weitere Kreise. Zu Zeiten großer Trübsale, z.B. nach dem großen Sterben von 1428, vermehrte sich der Zudrang, aber zu allen Zeiten übte der Stern über diesem Königengrabe seine Anziehungskraft aus.
aus: M. J. Scheeben, Festbüchlein zur Feier des 700-jährigen Jubiläums der Übertragung der hh. Könige nach Köln (1864)
Dreikönigswallfahrt heute
Die Kölner Dreikönigswallfahrt heute
Das Ende der alten Dreikönigswallfahrt wurde bei einer Gelegenheit besiegelt, bei er man es nicht vermuten würde: der Feier des 700jährigen Jubiläums der Translation der Heiligen Drei Könige nach Köln im Jahre 1864. Da im Zuge der sich allmählichen abzeichnenden Vollendung des Kölner Domes alle Verantwortlichen gegen die Erhaltung von Ausstattungen aus der Barockzeit im Kölner Dom votiert hatten und stattdessen einen rein gotischen Dom befürworteten, hatte man den Abbruch des Mausoleums beschlossen. Der Schrein wurde dagegen nach Abschluss der Feierlichkeiten in die Domschatzkammer verbracht.
Die „Auslagerung“ des Dreikönigenschrein aus der Domkirche wurde zwar in der Folgezeit und insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg zunehmend als Verlust empfunden, doch es dauerte bis 1948, dem Jahr der 700jährigen Wiederkehr der Grundsteinlegung des gotischen Domes, bis die Reliquien der Heiligen Drei Könige in die Kirche zurückkehrten und der Schrein seinen heutigen Platz hinter dem Hochaltar fand: „Das schien zunächst eine befriedigende Lösung zu sein. Der Schrein war fest in das liturgische Geschehen der Kathedrale eingegliedert. Doch nach 1965 verlegte man die Liturgie in die Vierung der Kathedrale. […] Der Schrein trat in den Hintergrund, obwohl er den hervorragendsten Platz im Domchor einnimmt.“(Walter Schulten)
Nach der Rückkehr des Dreikönigsschreines in die Domkirche lebte die Dreikönigswallfahrt als regelmäßiges Geschehen allerdings zunächst nicht wieder auf. Durch die Platzierung im Hochchor war der Schrein für die Gläubigen zwar wieder gut sichtbar, zugleich aber unzugänglich, und er erschien den Besucherinnen und Besuchern der Kathedrale als in weite Ferne gerückt. Nur zu besonderen Jubiläen und Anlässen wurde für einen gewissen Zeitraum eine Dreikönigswallfahrt organisiert. Es waren dies in der jüngeren Vergangenheit die Hundertjahrfeier zur Vollendung des Domes 1980, das Jubiläum der 750jährigen Wiederkehr der Grundsteinlegung des Kölner Domes im Jahre 1998 und die Feier des XX. Weltjugendtages vom 15.-20. August 2005 in Köln.
Insgesamt war das Fehlen einer fest etablierten Dreikönigswallfahrt eine unter seelsorglichen Aspekten sicher wenig befriedigende Situation angesichts der Tatsache, dass der Kölner Dom mit jährlich rund 6 Millionen Besucherinnen und Besuchern aus aller Welt (2004) und damit rund 20.000 Gästen täglich inzwischen die meistbesuchte Sehenswürdigkeit in Deutschland ist, auch wenn man nie weiß, wie viele Touristen vielleicht auch als Beterinnen und Beter die Kathedrale aufsuchen. So schrieb unter dem Eindruck der außerordentlich gelungenen und sich eines gewaltigen Zuspruchs erfreuenden Feier des Domjubiläums im August 1998 der damalige Leiter der Hauptabteilung Seelsorge im Erzbischöflichen Generalvikariat und heutige Bischof des Bistums Dresden-Meißen, Dr. Heiner Koch, in der Kölner Kirchenzeitung: „Manchmal kam mir die Dreikönigswallfahrt wie eine Kirchenbewegung von unten vor. Ereignisse wie die Dreikönigswallfahrt sind sicherlich auch wertvoll und notwendig zur Entwicklung eines Diözesanbewußtseins. […] Mit der Wallfahrt greifen wir eine alte Kölner Tradition auf, die weitgehend einzuschlummern drohte: die Wallfahrt zum Schrein der Heiligen Drei Könige. Nach der jetzigen Dreikönigswallfahrt wird man sich hoffentlich nicht zu lange überlegen, diese Tradition nicht wieder 50 Jahre ruhen zu lassen.“ (Kirchenzeitung 35, 1998)
Es war daher nur konsequent und folgerichtig, dass unter dem überwältigenden Eindruck des Weltjugendtages 2005 in Köln, an dem rund 800.000 registrierte Pilger aus 193 Ländern teilnahmen, der Versuch unternommen wurde, die Dreikönigswallfahrt nach mehr als 100 Jahren Unterbrechung wieder als ein regelmäßiges, jährliches stattfindendes Ereignis zu beleben.
Die Initiative ging dabei vom Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner aus. In seiner Predigt am Dreikönigstag des Jahres 2006 in der Domkirche kündigte er an, „[…] ab diesem Jahr an die großen Wallfahrtserfahrungen des Domjubiläums 1998 und des vergangenen Weltjugendtages anzuknüpfen und ‘von nun an jährlich eine Dreikönigswallfahrt zum Schrein der Heiligen Drei Könige zu halten. Sie soll jedes Jahr um den 27. September herum gehalten werden, dem Weihetag der Kölner Domkirche. Hundert Tage vor dem Fest der Erscheinung des Herrn wollen wir uns so mit den Heiligen Drei Königen auf den Weg zu Christus machen und ihn anbeten“ (Kirchenzeitung 2/2006).Im Zentrum des Geschehens der Dreikönigswallfahrt steht für die einzelne Pilgerin und den einzelnen Pilger natürlich der Pilgerweg durch den Kölner Dom.
Mit der heutigen Dreikönigswallfahrt knüpft also das Erzbistum Köln seit 2006 an eine jahrhundertealte Tradition an, die über einen langen Zeitraum erloschen war.
Siegfried Schmidt